2018.11.01.
"Hast du dir schon einmal die Wiese am Butterberg angesehen" fragt der Günter. "Warum"? "Eben verschwindet der Trecker, schau dir das einmal an". Was der Günter wieder für Sorgen hat. Es ist der 1. November und obendrein noch Allerheiligen, was soll da schon passieren. Doch neugierig bin ich schon, was er mir da verschweigt.
Am 2. November mache ich mich auf den Weg um zu sehen was sich hinter den Worten Günters verbirgt. Novembersonne ist angesagt. Weiße Wolkenberge wandern von leichtem Südwest geschoben über den blauen Himmel. Ein Wetter das die Kraniche für ihren Flug in den Süden lieben. Doch so früh am Tag überfliegen sie uns selten, warten immer bis gegen Mittag, bis sich die Luft erwärmt hat, aufsteigt, für Aufwind sorgt für ihren Flug über die Harzer Berge. Wenn sie dann erscheinen, drehen sie ein paar Runden, schrauben sich in die Höhe, trompeten sich zur Ordnung, zur Flugordnung. Wenn man nun glaubt es wird nichts mehr aus dem Wirrnis, dem wilden Trompeten der Vögel eine Flugordnung herzustellen ist sie urplötzlich da. Ein Kranich übernimmt die Spitze und schon ist sie da, die "Große Eins" des Kranichsflug. Manchmal löst sich die erst gebildete Formation unter großem Trompetengeschrei noch einmal auf, werden ein paar Flugregeln besprochen, hin und her trompetet und dann geht es weiter, mit ihrem schnellen Flug nach Süden. Im Nu sind sie zu Pünktchen am Himmel geschrumpft. Noch ab und an ein leiser werdender Trompetenschall durch die herbstliche, klare Luft. Das war's.
In einer Ritze des Kalksandstein eine letzte weiße Blüte. Die Pfirsichblättrige Glockenblume zeigt noch einmal ihre Schönheit. Dann stehe ich an der Butterbergwiese. Grobschollig umgepflügt liegt das Wiesenstück auf ihrem Gesicht. Bestimmt 50 Jahre Wiesenfläche liegen auf der Nase, ist Ihr Wachsen umgedreht, zeigen ihre Wurzeln nach oben. Ein Schmerz zieht durch Herz und Seele. Warum nur ist das geschehen, wird eine von den wenigen natürlichen Grünflächen Bad Harzburgs so misshandelt. Warum ist ein Kleinod von Pflanzenreichtum umgedreht, ein Lebensraum von Insekten vernichtet? Was wird geschehen mit der umgedrehten Wiese? Soll sie zum Acker, zum Feld werden, in eine Steuobstwiese umgewandelt oder musste nur sterben weil aus irgendwelchen landwirtschaftlichen Fördermitteln Kapital gezogen werden konnte? Werden wieder einmal die Interessen Einzelner, denen der Einwohner mit und ohne Hund die sich hier erfreuten, eine höhere Wertigkeit gegeben? Bis hart an die grünen Heckensträucher des Butterberg ist der Pflug geführt worden, die Wiese umgebrochen. An der ersten Bank die am Heckenrand zur Rast einlädt, ist dem, der Traktor und Pflug steuert, wohl die Erkenntnis ins Hirn gezogen, dass das was er da treibt wohl nicht ganz stimmen kann. Er lässt einen kleinen Wiesenstreifen stehen, um den Besuchern dieser Bank und der weiteren, folgenden Bänke ein Hinkommen zu ermöglichen. Helle Wurzeln der Espen, die teilweise den Gebüschrand bestimmen, weit in die Wiese reichten, sind hoch gepflügt, abgerissen. Wie tote Riesenschlangen liegen sie, von hochgepflügten Kalksandsteinen, die wie eine Trauergemeinde die Verstorbene begleitet, auf den umgedrehten Grasschollen. Mein mitgenommener Stock kommt zum Einsatz. Wenn schon so viele Löcher in den Furchen, zwischen den mal ganz um gedrehten, mal mit der Grasnabe nach oben liegenden Schollen, offen liegen, ist so auch viel Platz für den umherliegen Schutt zu finden. Angefangen von Papiertaschentüchern, Getränkeschachteln, Zigarettenkippen, eingepackte und frei umher liegende Hundekacke und sonstigen verrottbaren Abfall der an und neben den Bänken umher liegt verschwindet alles in der Furche, wird unter einer Grasscholle beerdigt, begraben. Auch Grasschollen die auf dem übrig gebliebenen schmalen Wiesenstreifen, in die verkehrte Richtung gefallen sind, finden mit Hilfe meines Stockes, ihren Weg zurück. Spaziergänger auf der verlängerten Goethestraße, von oder nach Westerode, bleiben hübsch artig auf dem Wiesenweg, wechseln nicht wie sonst herüber zum Heckenrand. Sie scheuen, wie ihre mit geführten Hunde, das Gepolter über die umgedrehten Schollen. Der Verursacher dieses Gepolters, nehme ich an, kann ja herrlich mit dem Trecker umher kurven. Zum Absteigen braucht er bestimmt häusliche Hilfe, denn sonst hätte er bestimmt die drei großen Äste die die "Friederike", der Sturm im Frühling, von Eiche und Ahorn abgerissen und auf die Wiese geschleudert hat, nicht einfach liegen gelassen. Er ist mit großem fahrerrischen Können um die herum liegenden Äste herumgekurvt. So wie die "Friederike", wie der Könner bei der Wiesenmahd im Spätsommer das auch gemacht hat, hat er hübsch die Äste liegen gelassen. Sind alle weitergezogen, in der wagen Hoffnung dass das Aufräumen einem Untergeordneten zufällt. Oder in Hoffnung, dass die Abgerissenen doch noch Wurzeln schlagen und wieder austreiben.
Die Wolken sind dunkler geworden, haben sich zusammengeballt, liegen grau über den Bergen. Der Sudmerberg noch im Sonnenschein, auch die Blutbuchen am Goetheweg leuchten kräftig in rot-gelb. Ein Sonnenstrahl hat durch das Himmelsgrau noch einen Weg zu ihnen gefunden. Der Langenberg im Wolkenschatten. Auf dem Butterbergkammweg sammeln sich braune Buchenblätter, zwischen den dunkelgrünen Blättern des Efeu segeln auf ihrem langen Blattstielen gelbe Spitzahornblätter. Wenn sie zur Erde fallen wirkt ihr Blattstiel wie ein Anker.
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