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Seite 2 Bußgang 

Diese sehr drastische und bildhafte Darstellung  Lamperts ist die einzige ausführliche Quelle. Sie wird aber zunehmend von der neueren Forschung als tendenziös und propagandistisch in Frage gestellt. Man sieht in dem Chronisten einen Parteigänger des Papstes und der Adelsopposition. Eine weitere Quelle mit ähnlichem Inhalt stammt von Gregor selbst. Er verbreitete seine Version in einem Rundbrief an die Bischöfe und geistigen Würdenträger. Auch diese Darstellung des wirklichen Geschehens ist einseitig und von den damaligen subjektiven Interessen geprägt.
Die genannten Ãœbermittlungen prägten über Jahrhunderte das allgemeine Geschichtsbild nachhaltig. Doch immer wieder wurden auch Stimmen laut, die nach einer weniger tendenziösen Darstellung strebten. Vor allem dem deutschen nationalistischen und protestantisch-preußischen  Denken des 19. und natürlich auch des 20. Jahrhunderts war der Kniefall ein Stachel im Fleisch.  Otto von Bismarcks Wort in einer Rede des Reichstages: ,,Nach Canossa gehen wir nicht" wurde in seiner Diktion ,,Gang nach Canossa" zur negativ besetzten Bezeichnung für einen ,,demütigenden Bußgang" und für die Ablehnung der Unterordnung unter den päpstlichen Primat. Die 1877 in Bad Harzburg auf dem Burgberg errichtete Canossasäule ist Bismarck und speziell diesem Ereignis gewidmet.
Aber auch in anderen Ländern wurde das Canossa-Ereignis schnell zum Ärgernis, wenn von dieser oder jener  Weise provozierend daran erinnert wurde. Als Papst Benedikt XIII. das Fest Gregors VII. 1728 für die gesamte Kirche verbindlich einführte und an den ,,gottlosen Kaiser Heinrich IV."  erinnerte, gab es heftige Proteste aus Frankreich, den Niederlanden, Italien und natürlich dem Habsburgerreich Österreich. Kaiser Karl VI. und später Maria Theresia verboten den Offiziumstext bei Strafe. Die von Rom bewusst gesuchte Erinnerung an das Canossaereignis sollte nicht zugelassen werden. Bei diesen Verboten blieb es bis in die Zeit nach den napoleonischen Kriegen.
Als zum Ende des 19. Jahrhunderts die Kaiserpfalz in Goslar durch preußische Protektion zu neuem Glanz entstand, wurde der damals sehr bekannte Maler Hermann Wislicenus mit der Ausmalung der Innenwände beauftragt. Glanzpunkte deutscher Kaiserherrlichkeiten wurden dargestellt:  Kaiser Karl wie er die Irminsul zu Fall bringt, Heinrichs II. Krönung, Barbarossas Kniefall vor Heinrich dem Löwen und die Schlacht bei Ikonium, des dritten Heinrichs Heimkehr aus Rom, wo er die päpstlichen Wirren geklärt hatte, Heinrichs IV. Einzug in Mainz und natürlich Luthers machtvolles Auftreten vor dem Reichstag in Worms. Was fehlt ist der Kniefall vor dem Papst im Januar 1077. Das heißt, es gibt ihn schon, ganz konnte man ihn wohl doch nicht unterschlagen: Eine kleine Grisaille am Fuß eines großen Bildes von Heinrich zeigt das Ereignis eher verschämt. Auch der damalige Auftraggeber für die Bilder, Kaiser Wilhelm, und seine preußisch-deutschen Mitdenker wollten die Erinnerung an Canossa nicht unbedingt groß hervorheben.
Der angesehene Mittelalterhistoriker Johannes Fried hat jetzt eine vielbeachtete Neudeutung der Canossaereignisse vorgeschlagen. Er hält die immer noch gültige bisherige Chronologie für schlicht falsch. Nach seiner Auffassung hat es nie einen für den König demütigenden Bußgang gegeben, sondern lediglich ein Treffen zwischen König und Papst, das schon längere Zeit vorher vorbereitet worden war. Beide Kontrahenten hätten am 28. Januar 1077 einen Vertrag abgeschlossen, der den Frieden wieder herstellen sollte. Der Pakt habe jedoch keine Wirkung erzeugt, da beide auf ihre Weise die Einigung hintertrieben hätten. Aber auch für diese Neudeutung haben andere Historiker schon wieder Gegenargumente gefunden.
Quellen:
Egon Boshof: Heinrich IV.
Monika Arndt: Führer durch den Kaisersaal
Johann Fried: Der Pakt von Canossa
Wikipedia: Gang nach Canossa

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